Test: F1 22 (PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X)

Die F1-Saison 2022 ist vorbei! Aber auf den Rennstrecken der virtuellen Formel 1 wird fleißig weiter Gas gegeben und Codemasters liefert mit Updates nicht nur weitere Inhalte nach, sondern schraubt seit dem Release Anfang Juli auch immer noch an zentralen Elementen wie der KI und Fahrphysik herum. Der Test zu F1 22 hat „aus Gründen“ etwas länger auf sich warten lassen und stellt aufgrund ständiger Veränderungen daher nur eine Momentaufnahme dar. Trotzdem gibt es auch Kritik an generellen Punkten, mit denen sich die Entwickler und Publisher Electronic Arts nicht unbedingt einen Gefallen getan haben…


Was für eine Saison!

Zwar stand Max Verstappen schon frühzeitig als Weltmeister fest und es kam nicht wie im Vorjahr zum spannenden Showdown auf den letzten Metern, als der Niederländer nach diskussionswürdigen Entscheidungen des damaligen Rennleiters Michael Masi seinen ersten WM-Titel einfahren und Mit-Rekord-Champion Lewis Hamilton schlagen konnte. Trotzdem ist auch die Saison 2022 etwas Besonderes für die Geschichtsbücher: Zum einen hat die FIA mit komplett neu designten Rennwagen und einem angepassten Reglement die neue Ära für die Königsklasse eingeläutet. Zum anderen drehte der vierfache Weltmeister und Sympathieträger Sebastian Vettel beim großen Finale in Abu Dhabi seine (vorerst) letzten Runden in der Formel 1, konnte sich trotz der vermasselten Strategie von Aston Martin aber immerhin noch mit einem WM-Pünktchen vom Rennzirkus verabschieden. Mach’s gut, Seb!

Das Leben als F1-Fahrer als soziale Erfahrung mit asozialer Monetarisierung

Ob seine Bude wohl auch so toll und protzig aussieht wie in F1 Life, dem neuen Spielelement der F1-Reihe? Man weiß es nicht so genau. Und eigentlich will man es auch gar nicht wissen. Genauso wenig, wie man sich in einem F1-Spiel mit dem Aussehen und dem Mobiliar der eigenen vier Wände beschäftigen will, oder? Aber bei Codemasters oder viel mehr EA Sports fand man die Idee vermutlich richtig dufte – immerhin verleiht es dem Rennspiel die ach so wichtige soziale Komponente, die man ab sofort auch im Racing-Portfolio sehen will. So hat es der Publisher jedenfalls im Zuge der beschlossenen Einstellung von der Reihe Project Cars kommuniziert. Und so kann man hier tatsächlich nicht nur sein Bonzen-Anwesen im Stil von Die Sims mit Kommoden, Teppich, Sofa und Wandbildern einrichten, sondern auch die Buden anderer F1-Spieler besuchen und aus Höflichkeit sogar ein Like da lassen. Aktuell scheint es übrigens einen Bug zu geben, durch den man seine freigeschalteten Supercars nicht mehr als Ausstellungsobjekt platzieren kann.

Ich brauche diesen überflüssigen Mist nicht in einem Rennspiel – und erst recht nicht in einem rund um die Formel Eins. Das gleiche gilt für die Freizeitklamotten, mit denen man seinen Avatar von Kopf bis Fuß einkleiden darf – mittlerweile sogar mit echten Markenartikeln von Puma über Sparco bis hin zu Kopfhörern von Beats. Ein bisschen was davon darf man zwar über den nervigen Podium Pass freispielen, auf dessen Existenz man zusammen mit neuen Items im Shop übrigens ständig hingewiesen wird. Aber die meiste Zeit wird man für den kosmetischen Schnickschnack mit Pit Coins zur Kasse gebeten, die man sich in Währungspaketen gegen echtes Geld kaufen kann. Zwar bekommt man das kleinste schon für knapp zwei Euro, aber für 50.000 Pitcoins darf man satte 34,99 Euro hinblättern. Natürlich braucht man nichts von alldem. Aber es ist mittlerweile nur noch furchtbar, wie hier Mikrotransaktionen integriert werden, um den Leuten möglichst effektiv zusätzliches Geld aus der Tasche zu ziehen. Denn die Shop-Preise sind in vielen Fällen so gestaltet, dass man entweder weitere Pakete braucht oder immer Restbeträge der Pitcoins übrig bleiben.

Vorbildliche Karriere mit zunehmenden Abnutzungsspuren

Aber kommen wir zu etwas angenehmeren Dingen: Die Karriere von F1 22 gehört für mich immer noch zum Besten, was man im Rennspiel-Genre finden kann. Zwar machen sich durch den Copy&Paste-Ansatz immer stärkere Abnutzungserscheinungen bemerkbar, aber trotzdem ist es immer noch extrem motivierend, sich in den Trainingsprogrammen rund um Aufgaben wie optimales Reifen- und Benzinmanagement die nötigen Ressourcenpunkten für die detailverliebte Weiterentwicklung des Rennwagens zu verdienen, sich mit dem Teamkollegen oder anderen Rivalen um die Vormachtstellung zu messen oder sich mit Blick auf die Budgetplanung auf dem Transfermarkt umzusehen. Wer nicht zu viele Stunden investieren will, entscheidet sich für einen verkürzten Rennkalender, reduziert das Rennen auf wenige Runden oder lässt manche Sessions innerhalb des Rennwochenendes einfach auf Knopfdruck simulieren.

Erneut hat man die Wahl, ob man einen Fahrer in einem der zehn offiziellen Teams wie Ferrari, Red Bull oder McLaren ersetzen oder einen eigenen Rennstall aufbauen möchte, in dem man sogar Team-Logos und Wagenlackierungen mit vorgefertigten Mustern erstellen darf. Zudem steht es frei, ob man direkt in der Königsklasse durchstarten oder zunächst erste Schritte in der Nachwuchsserie Formel 2 gehen will. Standen zum Release einmal mehr nur die Teams und Fahrer der letzten Saison zur Auswahl, hat Codemasters mittlerweile das kostenlose Update für die F2-Saison 2022 nachgereicht.

Ein nettes Extra ist einmal mehr der „echte Saisonbeginn“: Hier wählt man frei einen Startpunkt innerhalb der 2022er-Saison und steigt mit der jeweils authentischen Punktestand in der Fahrerwertung und Konstrukteurs-Meisterschaft ein. Und wie in den Vorjahren gibt es erneut die Option, die enorm umfangreiche Karriere zusammen mit einem Mitspieler zu erleben – entweder als Teamkollegen oder Konkurrenten in verschiedenen Teams. Selbstverständlich erstreckt sich der Modus sowohl als Solist als auch im Duo-Verbund über mehr als eine Saison und überrascht mit Regeländerungen, mit denen die Fahrzeugentwicklung auf den Kopf gestellt werden kann.

Wie gesagt: Ich mag die Karriere der F1-Reihe immer noch sehr. Großartige Neuerungen oder Fortschritte darf man aber nicht erwarten – bis auf eine Sache, die mich persönlich wahnsinnig freut und mir sofort positiv aufgefallen ist. Denn bei EA hat man den Mumm, den man bei RTL seit Jahren vermisst. Wovon ich da rede? Endlich hat man sich dazu durchgerungen, der Nervensäge und Drama-Queen Heiko Wasser den längst überfälligen Laufpass zu geben, um Stefan Römer stattdessen mit Stefan Roos von Sky einen neuen Sprecher an die Seite zu stellen. In der Formel 2 kommt dagegen erneut ein anderes Kommentatoren-Duo zum Einsatz. Dank EA Trax bekommt man außerdem alternativ zum Instrumental-Soundtrack eine ganze Reihe mehr oder weniger gute Lizenz-Songs diverser mehr oder weniger bekannter Künstler zu hören. Neben Features wie F1 Life macht sich also auch musikalisch bemerkbar, dass Codemasters mittlerweile zu EA gehört und der Publisher die Zügel in der Hand hält.

Der klassische Weg zum WM-Titel

Für alle, die sich nicht mit Fahrzeugentwicklung, Management und Trainingsprogrammen beschäftigen wollen, gibt es weiterhin den klassischen Weg, um mit dem Fahrer und Team seiner Wahl um den WM-Titel zu kämpfen. Dabei steht es jedem frei, ob er die gesamte Saison mit satten 23 Rennen absolvieren oder lieber einen eigenen Rennkalender zusammenstellen möchte. Selbstverständlich lassen sich auch die Rennwochenenden erneut nach den eigenen Vorstellungen gestalten. So lassen sich z.B. Training und Qualifikation überspringen oder abkürzen – Stichwort „Blitz-Qualifying“. Und auch die Rennlänge lässt sich in mehreren Schritten von mageren drei Runden bis hin zur kompletten Distanz festlegen.

Darüber hinaus warten zahlreiche weitere Optionen für das maßgeschneiderte Rennerlebnis: Spielelemente wie Schadensmodell, Strafensystem sowie Brems- und Lenkassistenten lassen sich z.T. sogar in mehreren Stufen anpassen. Hinzu kommen optionale Wünsche nach Unterstützung beim Rennstart oder den Boxenstopps, bei denen man neuerdings auch ein kleines Reaktionsspielchen beim Abbiegen zur Crew absolvieren darf. Neben dem dynamischen Wetter mit Überraschungseffekt und zusätzlichen Spannungsmomenten schlüpft man alternativ selbst in die Rolle als Petrus und entscheidet über Sonnenschein, Wolken oder nasse Witterungsbedingungen unterschiedlicher Intensität.

Adaptive KI nur für Anfänger

Von zentraler Bedeutung ist außerdem die KI: Wie im Vorgänger lässt sich das Können der Rivalen in 110 Stufen relativ fein justieren. Die neue adaptive KI, die sich dem fahrerischen Können des Spielers automatisch anpasst, steht allerdings nur im Casual-Modus zur Wahl, in dem man keinen Zugriff auf zahlreiche Feineinstellungen hat. Entsprechend hatte ich zunächst echte Probleme, die Option überhaupt zu entdecken, da ich mich in der Regel schnell für den Expertenmodus mit seiner Fülle an Anpassungen entscheide. In den normalen KI-Einstellungen fällt schnell auf, dass Codemasters den Spielern jetzt etwas mehr abverlangt als früher. Auf dem Schwierigkeitsgrad, den ich in den letzten Jahren als das perfekte Niveau für meine eigenen Leistungen wahrgenommen habe, sehe ich in F1 22 teilweise kein Land mehr, wobei die Leistung der KI je nach Strecke mitunter stark schwankt. Nur eine Sache bleibt schon seit Jahren gleich: Der Teamkollege ist immer noch zu dämlich, bei der Rennstrategie dynamisch auf das Geschehen zu reagieren. So folgt er mir in der gleichen Runde lieber umgehend zum Boxenstopp und nimmt die überflüssige Wartezeit in Kauf anstatt einfach noch eine Runde draußen zu bleiben.

Ein zentraler Grund, warum man in diesem Jahr mehr zu kämpfen hat: Die KI-Fahrzeuge verfügen offenbar über deutlich mehr Bodenhaftung als mein eigenes Renngeschoss – mehr dazu später im Abschnitt zur Fahrphysik. Besonders in Regenrennen wird der unfaire Vorteil mehr als deutlich und es ist frustrierend zu sehen, wie selbst hoffnungslos unterlegene Teams im strömenden Regen auf ihren Intermediate-Reifenmischungen an mir vorbeiziehen, obwohl ich mit meinen Regenreifen eigentlich die deutlich besseren Karten unter diesen Bedingungen haben sollte. Aber auch auf trockenem Asphalt erfreut sich das restliche Feld dank der besseren Grips beim Herausbeschleunigen aus Kurven einer spürbaren Überlegenheit. Darüber hinaus sind die KI-Kontrahenten in diesem Jahr gefühlt wieder besonders aggressiv unterwegs und fahren den Spieler ganz gerne mal rücksichtslos über den Haufen. Es sind Momente wie diese, in denen man die optionale Rückspulfunktion zu schätzen lernt!

Duelle auf den Online-Pisten

In den Mehrspieler-Rennen muss man logischerweise auf den Einsatz des Allheilmittels verzichten. Ob es bei Duellen gegen Fahrer aus Fleisch und Blut fairer oder weniger frustrierend zugeht, hängt selbstverständlich in erster Linie von den Mitspielern und den eingestellten Rahmenbedingungen ab. Aber auch die so genannte Super-Lizenz mit dem dazugehörigen Einstufungssystem für das Können und Fairniss könnte dazu beitragen, dass Pisten-Rowdies schnell aussortiert werden.

Erneut steht im Multiplayer-Modus neben lokalen Positionskämpfen am geteilten Bildschirm ein Online-Modus für bis zu 22 Teilnehmer zur Verfügung. Dort hat man die Wahl zwischen Freundschaftsrennen oder Ranglisten-Events in einer Kurz-Variante über fünf Runden oder dem Standard mit Blitz-Qualifying und 25% Renndistanz. Außerdem warten wöchentliche Events mit bestimmten Aufgaben und Szenarien, in denen Strecke und Team in der Regel vorgegeben werden.

Von der eigenen Lobby bis zum Ligabetrieb

Neben dem Matchmaking, an dem in Ranglisten-Rennen kein Weg dran vorbei führt, darf man sich in Freundschaftsrennen über einen Browser auf die Suche nach einem passenden Event begeben oder selbst eine Lobby aufsetzen, die auf Wunsch nur Freunde betreten dürfen. Schön, dass man nicht nur individuelle Regelanpassungen vornehmen und optionale KI-Fahrer hinzufügen, sondern gleich einen Kalender mit mehreren Rennen anlegen kann. Noch einen Schritt weiter geht der Liga-Modus, in dem sich die Teilnehmer zu fest vorgegebenen Zeiten für den virtuellen Motorsport einfinden müssen – wer einfach nicht auftaucht, bekommt die Quittung in Form von Wertungsabzügen auf der Super Lizenz im Hinblick auf die Zuverlässigkeit. Und auch wenn es im Zocker-Alltag mittlerweile nur noch selten aktiv genutzt wird: Ich finde es klasse, dass Codemasters nicht nur am PC, sondern auch auf der PlayStation immer noch einen optionalen LAN-Modus anbietet.

CrossPlay mit Einschränkungen

Etwas enttäuschend ist dagegen die Unterstützung von CrossPlay, die Ende August mit einem Update nachgereicht wurde und in den Optionen erst aktiviert werden muss. Denn das plattformübergreifende Racing funktioniert tatsächlich nur im Modus Freundschaftsrennen, nicht aber in der Koop-Karriere. Immerhin laufen die Online-Rennen überwiegend ohne Lags ab. Zusätzlich darf man sich noch im Zeitfahren mit den Piloten unterschiedlicher Systeme messen, denn in den Online-Bestenlisten tummeln sich Fahrer von PC, PlayStation und Xbox.

Kein neuer Story-Modus, fehlende Classic-Inhalte

Schlecht sieht es für alle aus, die sich nach dem klischeehaften, aber dennoch unterhaltsamen „Braking Point“ des Vorgängers einen weiteren Story-Modus gewünscht haben. Der durchaus willkommene Ansatz, der Erinnerungen an Filme die Tage des Donners oder Rush weckt, fiel genauso der Schere zum Opfer wie klassische Inhalte rund um die Historie der Formel Eins. Zwar darf man innerhalb der Karriere Legenden wie Michael Schumacher oder Ayrton Senna als Teamkollegen verpflichten, aber in den Geschossen der Vergangenheit darf man leider nicht mehr Platz nehmen. Entsprechend finden sich auch keine dazugehörigen Herausforderungen mehr und auch die Karriere muss ohne die Abstecher in historische Rennwagen auskommen.

Spaßfreie Supercars statt coole Klassiker

Stattdessen kam irgendjemand auf die Idee, eine Reihe von heißen Supercars namhafter Hersteller (und F1-Teams) wie Mercedes-AMG, Ferrari und McLaren ins Spiel zu integrieren, die man durch gefahrene Kilometer im Spiel relativ flott freischalten kann. Ihnen ist auch der zusätzliche Modus Pirelli-Hotlaps gewidmet. Dort warten 40 Herausforderungen, die u.a. Checkpoint-Events mit Slalom, Rivalen-Rennen, Zeitfahren und Drift-Wettbewerbe umfassen. Sie werden auch hin und wieder in die Karriere eingestreut, um für etwas Abwechslung vom Alltag im F1-Cockpit zu sorgen.

Das Problem dabei: Zum einen bleibt der Einsatz nur auf die Herausforderungen und Abstecher im Zeitfahren beschränkt – man darf in den Supersportwagen also keine Rennen absolvieren und auch in Online-Modi herrscht Zugangsverbot. Zum anderen macht das Fahren schlichtweg keinen Spaß! Ich habe den leisen Verdacht, dass sich die Physikengine nicht so einfach von den F1-Flitzern auf die Straßenfahrzeuge übertragen lässt. Eigentlich hätte Codemasters das nötige Know-how und die Teams, aber verglichen mit Grid oder Project Cars fühlen sich die Supersportwagen mit ihrem übertriebenen Untersteuern hier ziemlich furchtbar an. Damit sind die für mich genauso überflüssig wie F1 Life, erfüllen dort zumindest aber den Zweck einer sehenswerten Wohnungseinrichtung. Denn eins muss man den Karren lassen: Sie sehen besser aus als das Fahrgefühl, das sie in F1 22 vermitteln.

Auf der Suche nach der Bodenhaftung und Fahrspaß

Hinter dem Steuer der F1-Boliden sieht es zwar besser aus, aber so richtig glücklich werde ich mit der Fahrphysik hier auch nicht. Vor allem der bereits erwähnte Mangel an Bodenhaftung beim Herausbeschleunigen aus langsamen Kurven wie z.B. der Schikane in Monza kostet viele Nerven – zumindest, wenn man ohne Traktionskontrolle unterwegs ist. Man kann noch so fein das Gas justieren und einlenken, aber verliert trotzdem immer wieder die Kontrolle und wird vom Heck überholt. Etwas besser funktioniert es mit der Verwendung eines Lenkrads, aber auch hier bleiben die Boliden oft zu unberechenbar, wenn man sich ans Limit herantasten möchte.

Selbstverständlich war es zu erwarten, dass sich die Rennwagen im Vergleich zum Vorjahr anders anfühlen. Immerhin stellte das neue Reglement die Ingenieure vor die Aufgabe, die Vorgaben in neuen Designkonzepten umzusetzen: Die Modelle von 2022 sind mit größeren 18-Zoll-Rädern ausgestattet, aufgrund des erhöhten Minimumgewichts auf 768 Kilo zudem schwerer und damit etwas träger. Die Macht der Aerodynamik wurde darüber hinaus bewusst durch das vorgeschriebene sowie deutlich simplere Design des Frontflügels beschränkt, was sich folglich auf die Bodenhaftung auswirkt.

Übertriebener Kontrollverlust und unberechenbares Fahrverhalten

Aber dass sich diese Änderungen im Spiel so krass anfühlen und sich so negativ auf den Fahrspaß auswirken, hätte ich nicht gedacht. Ich bin eigentlich jemand, der gerne möglichst alle Hilfen deaktiviert, weil z.B. ein zu starkes Eingreifen der Traktionskontrolle zu viel Geschwindigkeit nimmt – siehe Gran Turismo 7, wo man den negativen Effekt besonders stark spürt. Bei F1 22 musste ich aber irgendwann über meinen Schatten springen und zumindest die niedrigste Stufe der Traktionskontrolle in den Optionen aktivieren. Und siehe da: Plötzlich macht das Fahren wieder deutlich mehr Freude und man kann besser mit der KI und ihrem „Wunder-Grip“ mithalten.

Trotzdem muss man weiter behutsam mit den bissigen Flitzern umgehen und verglichen mit früheren Teilen hat man hier kaum noch eine Chance, die Fahrzeuge noch abzufangen, sobald sie ins Schleudern geraten. Generell fällt es trotz des ordentlichen Force Feedbacks und dem haptischen Feedback des DualSense-Controllers sehr schwer, ein Gefühl für die Wagen und ihre Grenzbereiche zu entwickeln. Tatsächlich bekommt man eher den Eindruck als verhalten sich die Boliden ziemlich unberechenbar.

Das gilt nicht nur beim Herausbeschleunigen aus langsamen Kurven, sondern leider auch wieder für das Überfahren vieler Randsteine, in denen man selbst bei niedrigen Geschwindigkeiten rasend schnell die Kontrolle verliert. Das Verhalten der Fahrzeuge beim Kontakt mit den Kerbs zählte zu den großen Kritikpunkten von F1 2021 und tatsächlich entschuldigte sich später einer der Entwickler für einen eklatanten Fehler in der Physik-Engine, der zu diesem Phänomen geführt hat. Zum Release von F1 22 schien das Problem aus der Welt geschafft zu sein, aber seit den letzten Updates schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass Codemasters die Fahrphysik zunehmend verschlimmbessert und auch die Randstein-Problematik wieder zunimmt. Daher muss man es leider ganz klar so sagen: F1 22 fährt sich im Vergleich zu den Vorgängern von F1 2017 bis F1 2020 längst nicht mehr so schön und das Fahrverhalten ist mir vor allem ohne Hilfen häufig zu unberechenbar und damit nicht mehr nachvollziehbar. Selbst Versuche, dem Umstand in den umfangreichen Setup-Einstellungen irgendwie entgegenzuwirken, schlugen fehl. Immerhin muss man sich auf den virtuellen Pisten nicht mit den hoppelnden Fahrzeugen herumschlagen, während das so genannte Porpoising die realen Teams und Fahrer vor allem zu Beginn der Saison in den Wahnsinn getrieben hat – vor allem Lewis Hamilton war alles andere als glücklich, wie er regelmäßig in seinem Silberpfeil durchgeschüttelt wurde.

Rasen in VR – aber leider nur am PC

Der Verzicht, das unschöne Phänomen auch im Spiel abzubilden, ist schon alleine deshalb sinnvoll, weil es hier erstmals eine offizielle VR-Unterstützung in einem F1-Spiel gibt! Leider steht sie nur am PC zur Verfügung und PlayStation-Piloten müssen sich weiter mit der einfachen Mattscheibe begnügen, obwohl Codemasters bei DiRT Rally bereits erste VR-Erfahrungen auf den Sony-Konsolen gesammelt hat. Zumindest theoretisch besteht eine winzige Chance, dass man für die PS5-Version noch eine Unterstützung für PSVR 2 als DLC nachschiebt, sobald das neue Headset von Sony im Februar 2023 erscheint. Da dann aber schon langsam der potenzielle Nachfolger F1 23 in den Startlöchern steht, wird man sich bei Codemasters vermutlich erst dann mit der VR-Thematik auf der PlayStation 5 beschäftigen, wenn überhaupt.

Wie bei fast jedem anderen Rennspiel wertet VR das Mittendrin-Gefühl und F1-Erlebnis natürlich deutlich auf. Zwar ist bei älteren Rift-Modellen ein kleiner Workaround nötig, aber sobald man mit der VR-Brille auf dem Kopf als Helmersatz im Cockpit sitzt und erstmals mit Vollgas über die Piste brettert, macht sich umgehend Begeisterung breit, bis die Euphorie früher oder später leider doch wieder von den Problemen bei der Fahrphysik und KI eingeholt wird.

Überzeugende Technik-Performance

Wie immer erfordert das Fahren in VR einen leistungsfähigeren PC als beim Spielen am Monitor, wo die Hardwareanforderungen etwas genügsamer ausfallen. Während für VR eine NVIDIA GTX 1660 Ti oder AMD RX 590 als Minimum empfohlen wird, reicht bei der normalen Darstellung eine NVIDIA GTX 1050 Ti oder AMD RX 470. Will man Raytracing erleben, sind laut Herstellerangaben mindesten eine GeForce RTX 2060 oder Radeon RX 6700 XT nötig.

Wie immer bietet der PC dank detaillierter Grafikoptionen die bestmögliche Flexibilität, die Darstellung an die Leistungsfähigkeit des Systems anzupassen. Mit meiner GTX 3070 musste ich ebenfalls ein wenig nachjustieren, weil es vor allem in Kombination mit VR immer wieder kleine Abschnitte auf den Strecken gab, in denen die Bildrate spürbar eingebrochen ist – so z.B. in der Ascari-Schikane in Monza.

Auf der PS5 muss man sich darüber keine Gedanken machen – und auf der Xbox Series X wahrscheinlich auch nicht – für den Test standen mir nur die PC- und PlayStation-Version zur Verfügung. Selbst wenn auf dem Bildschirm viel los war, sei es durch einen Pulk an Fahrzeugen, Regenwetter mit Gischt-Effekten oder beides zusammen, sind mir keinerlei Beeinträchtigungen bei der Darstellung aufgefallen und das Renngeschehen bleibt jederzeit flüssig bei 60fps. Dabei spielt es keine Rolle, ob man in einer der Außenansichten oder den immersiveren Alternativen wie TV- und Cockpitperspektive unterwegs ist. Bei Letzterer lässt sich die Mittelstrebe des Halos übrigens weiterhin zugunsten der besseren Übersicht ausblenden.

Optional findet sich in den Grafikeinstellungen sogar ein Performance-Modus für moderne TVs, die 120Hz darstellen können. Dabei versteht sich von selbst, dass die dynamische 4K-Auflösung vom Qualitätsmodus für den Performance-Modus drastisch heruntergeschraubt werden muss. Trotzdem sieht F1 22 immer noch gut, aber eben nicht mehr so prächtig aus. Selbst wenn sich ein Großteil der Kulisse im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert hat und man die Unterschiede mit der Lupe suchen muss, macht die hauseigene EGO-Engine von Codemasters immer noch eine richtig gute Figur und überzeugt mit einer außergewöhnlich guten Performance.

Es gibt was auf die Ohren!

Loben erwähnen muss man außerdem, wie gut Codemasters auch abseits des Cockpits die Formel-Eins-Atmosphäre einfängt – sei es mit Einblicken in die Startaufstellung vor dem Rennstart oder die Siegerehrung mit Champagnerduschen und Feier-Hymne am Ende. Selbst Details wie die zeitweise verwendeten gelben Anzüge von Charles Leclerc und Carlos Sainz anlässlich des 70-jährigen Ferrari-Jubiläums haben es für einen begrenzten Zeitraum ins Spiel geschafft.

Im Cockpit selbst sorgen dagegen die originalgetreue Nachbildung des Wagen und die Rückmeldungen des Renningenieurs für das passende Flair. Wie immer gibt es eine Reihe an vorgegebenen Funksprüchen für die Kommunikation mit der Box. Leider hat es Codemasters immer noch nicht geschafft, auf den neuen Konsolen die Sprachsteuerung im Funkverkehr zu realisieren, während das gelungene Feature am PC und vermutlich auch PS4 sowie Xbox One weiterhin via Headset genutzt werden kann. Wo liegt das Problem?

Schön dagegen, dass sich Codemasters in Sachen Technik nicht nur auf die grafische Präsentation fokussiert, sondern immer noch einen ganz besonderen Wert auf die Klangkulisse legt. Natürlich wird versucht, die Motorengeräusche und andere Soundeffekte wie bei Kollisionen möglichst authentisch einzufangen. Aber hier verändert sich nicht nur der Klang anhand der gewählten Perspektive, sondern man hat in den Audio-Einstellungen sogar die Wahl zwischen verschiedenen Variationen, wie der Klang abgemischt wird. Soll es sich eher anhören wie in einer offiziellen TV-Übertragung oder einem bombastischen Film oder bevorzugt man lieber ein möglichst authentisches Klangbild, das dem realen Erlebnis im Cockpit am nächsten kommt? Einen solchen Aufwand betreibt heutzutage nicht jeder und es ist klasse, dass Codemasters noch diese Extra-Meile geht, obwohl die meisten Spieler dieser Einstellung vermutlich kaum Beachtung schenken werden.

FAZIT

F1 22 macht es mir nicht leicht: Ich will die diesjährige Edition wirklich mögen, weil ich das Design der neuen F1-Boliden sehr schnittig finde und das Konzept der Karriere trotz ersten Ermüdungserscheinungen immer noch klasse finde. Im Rennspiel-Genre gibt es in dieser Hinsicht eigentlich nichts Besseres. Dazu gesellt sich die gelungene Präsentation, eine traumhafte Auswahl an individuellen Anpassungen und nicht zuletzt die Freude, am PC endlich mit einer offiziellen VR-Unterstützung über die Pisten zu brettern. Ja, es gibt sehr viel, was man an F1 22 mögen und sogar lieben kann! Aber am Ende steht und fällt die Begeisterung samt Spielspaß nicht mit überfüssigem Quatsch wie dem neuen F1 Life Modus oder der abstoßenden Monetarisierung mit Pit-Coin-Paketen, sondern mit dem Rennerlebnis im Cockpit – und gerade in diesem zentralen Punkt schwächelt die virtuelle Königsklasse des Motorsports: Die fehlende Bodenhaftung in langsamen Kurven ist ohne Hilfen eine Zumutung und die generelle Unberechenbarkeit der Flitzer wirft kein überzeugendes Bild auf die Fahrphysik, die Codemasters mit Updates zuletzt sogar noch eher verschlimmbessert hat. Hinzu kommt die KI, die sich mit ihrem aggressiven Auftreten und fragwürdigen Gripvorteilen ebenfalls als Spielverderber erweist. Die ganz große Leidenschaft für die Formel 1 ist bei mir zwar nach dem Abschied von Michael Schumacher und der jahrelangen Mercedes-Dominanz zunehmend erloschen, aber mit der neuen Ära und ein paar spannenden Rennen kam zeitweise das alte Kribbeln zurück. Schade, dass ich das für F1 22 nicht behaupten kann.

Infos zum Bewertungssystem

Pro:
– motivierende (Koop-)Karriere
– audiovisuelle Präsentation
– zahlreiche Spielanpassungen
– VR-Unterstützung (nur PC)

Kontra:
– unberechenbare Fahrphysik
– aggressive KI mit „Super-Grip“
– überflüssige Supercars und F1 Life


Das Testmuster wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Electronic Arts Deutschland – vielen Dank!

Der Test umfasst die Entwicklung bis einschließlich Version 1.015.000 (PS5) und Version 1.015.928484 (PC) vom 25.11.2022.

5 Kommentare

  1. Pille

    Um das nochmal zu bekräftigen: Ich bin auch in jeder Hinsicht für Gleichberechtigung und Toleranz, dafür brauche ich aber keine Doppelnennungen und Sternchensprache. Da werden doch die Geschlechter ständig markiert und getrennt, das Lesen und das Zuhören wird zur Qual.

    Gestern habe ich bei Netflix das hier gelesen: „Fordere eine*n Freund*in oder eine*n mysteriösen Gegner*in … heraus.“ Ich glaube, ich werde Netflix kündigen, für mich ist da eh nichts mehr dabei. Wie soll man diesen Schmodder denn vorlesen, und wieviel muß man saufen, um solche Texte hübsch zu finden?

  2. Michael Krosta

    Knackig geschriebener Test.

    Haha, danke. Ich mag es knackig *hüstel*

    F1 23 wird großartig, wenn…

    – die Fahrphysik überarbeitet wird
    – F1 Life gestrichen wird (Podium Pass & Pit Coins gerne gleich mit)
    – Story-Modus und Classic-Inhalte zurückkehren
    – PSVR 2 unterstützt wird

    Eigentlich keine große Sache, oder?

    Gruß!

  3. Michael Krosta

    Na Micha, da haste Dir ja ordentlich Zeit gelassen. Aber hier bist Du Dein eigener Herr, da ist das schon okay.

    Ich wäre eigentlich schon gerne etwas zeitiger (und tatsächlich gab es bereits einen anderen und deutlich abgespeckteren F1-Test von mir an anderer Stelle), aber muss da leider Prioritäten setzen. Hoffe aber, dass es bei NfS Unbounded und WRC Generations jetzt etwas flotter geht 😉 Aber ein Winter-Cup in DiRT muss natürlich auch noch vorbereitet werden…

    Dieses furchtbare, zwanghafte Gendern.

    Bin ich persönlich auch kein Fan von. Natürlich unterstütze ich Gleichberechtigung, aber die sollte sich eher bei Dingen wie Respekt und Gehalt widerspiegeln und nicht darin, Schriftbild und Sprache zu verhunzen.

    Daher kann ich zumindest Entwarnung für meine Artikel hier geben: Ich habe nicht vor, den Genderwahnsinn zu unterstützen. Gleichzeitig werde ich es in Spielen aber auch nicht extra kritisieren, zumal ich privat die meisten Sachen ohnehin auf Englisch spiele. Hab es daher kaum mitbekommen, dass es sich jetzt auch vermehrt in Spiele einschleicht. Vielleicht wäre ja eine zusätzliche Text-Option eine gute Idee. Gendern: ja / nein

    Viele Grüße!

  4. Pentanick

    Knackig geschriebener Test.
    Man weiss sofort von wem er stammt. Sehr schön.
    Verstehe, dass man das Spiel gerne mögen würde. Die Autos sehen toll aus, Unterbodenansaugung als neue physikalische Ergänzung – die F1 hat einen kleinen Neustart gewagt. Ist dann natürlich enttäuschend, wenn es digital nicht wirklich nach vorne geht.

    Schade, werde passen. Aber kommt ja zum Glück bald das F1 2023 in die Läden. 😉

    Grüsse

  5. Pille

    Na Micha, da haste Dir ja ordentlich Zeit gelassen. Aber hier bist Du Dein eigener Herr, da ist das schon okay.

    „Die fehlende Bodenhaftung in langsamen Kurven ist ohne Hilfen eine Zumutung und die generelle Unberechenbarkeit der Flitzer wirft kein überzeugendes Bild auf die Fahrphysik, die Codemasters mit Updates zuletzt sogar noch eher verschlimmbessert hat.“

    Das war eine interessante Info. Von den Problemen hatte ich gehört, auch von den Updates, aber nicht, daß es noch schlimmer ist als am Anfang.

    Was mich übrigen schon „Tiny Tina’s Wonderland“ genervt hat: Dieses furchtbare, zwanghafte Gendern. Das kann man durchaus schonmal zur Sprache bringen. Ich will so einen Müll wie „Spieler:in“ nicht lesen und solche fürchterlichen Übersetzungen auch nicht mit meinem Geld honorieren. Also, wenn man schon meint, sowas machen zu müssen, dann bitte mit Abschaltoption für die, die gerne verständliches Deutsch haben.

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