Test: Need for Speed Unbound (PC, PS5, Xbox Series X|S)

Seit fast 30 Jahren gehört Need for Speed zu den ganz großen Namen im Rennspiel-Genre und hat im Laufe seiner Geschichte nicht nur Höhen und Tiefen, sondern auch viele Veränderungen erlebt. Unter der Regie von Ghost Games kam zunehmend Sand ins Getriebe und Electronic Arts zog die Konsequenzen: Nach dem enttäuschenden NfS Heat setzte man zuletzt lieber auf eine Neuauflage des gelungenen Need for Speed: Hot Pursuit von Criterion und ordnete anschließend eine Zwangspause für die Reihe an. Jetzt meldet sie sich mit Need for Speed Unbound zurück und erneut ruhen alle Hoffnungen auf den Fähigkeiten der Burnout-Macher, um mit alten Qualitäten und einem neuen Stil in die Erfolgsspur zurückzufinden.


Story zum Abgewöhnen

Dieses Mal taucht man in der fiktiven, aber an Chicago angelehnten US-Großstadt Lakeshore City in die Welt der illegalen Straßenennen im Untergrund ab. Dort verhilft man einem hippen Autoschrauber und seinen Helfern nicht nur zu Ruhm, Ehre und einem wachsenden Kontostand. Denn im Kern dreht sich alles um einen Rachefeldzug und das große Ziel, ein gestohlenes Auto von persönlichem Wert zurückzubekommen. Klar, dass das nur über die Teilnahme an einer prestigeträchtigen Meisterschaft möglich ist, für die man sich erst in mehreren Qualifikationsläufen beweisen und einen Fuhrpark voller leistungsfähiger Karren für die verschiedenen Event-Typen von regulären Straßenrennen über eine recht zähe Punktejagd bis hin zu Drift-Herausforderungen zusammenstellen muss.

Kommt euch das bekannt vor? Kein Wunder: Die Story schlägt nahezu in die gleiche Kerbe wie bei NfS Heat. Aber gut, ich habe mittlerweile ohnehin keinen großen Anspruch mehr an die Geschichte in einem Need for Speed bei all den Peinlichkeiten, die man in der Vergangenheit über sich ergehen lassen musste. Leider reiht sich Unbound mit seiner zwanghaft hippen Aufmachung sowie pseudo-coolen Figuren nahtlos in diese traurige Historie ein. Vor allem die Dialoge sind mit ihrem hohen Cringe-Faktor kaum zu ertragen und stammen gefühlt aus der Feder eines Zwölfjährigen, der zu viele Auspuffgase eingeatmet hat – aber vielleicht ist das ja genau die Zielgruppe, die EA mit diesem Quatsch in erster Linie ansprechen möchte. Die freischaltbaren Fremdschäm-Posen fügen sich da nahtlos ein. Das gefeierte Forza Horizon wird in dieser Beziehung mit jedem neuen Teil zwar ebenfalls zunehmend schlimmer, wird von Unbound aber immer noch locker getoppt.

Fahrphysik benötigt Tuningmaßnahmen

Für die Fahrphysik gilt das leider nicht: Während die Open-World-Rennspiele von Playground Games eine nahezu perfekte Mischung zwischen Anspruch und Fahrspaß bieten wie damals Project Gotham Racing, ist Need for Speed mit seiner wahnwitzigen Bodenhaftung und ständigem Nitro-Einsatz immer noch deutlich stärker auf Arcade ausgerichtet, aber fühlte sich zunächst vor allem in den Drifteinlagen durch Kurven für mich trotzdem nicht rund genug und intuitiv an, um bei Klassikern wie Ridge Racer mithalten zu können. Besser wird es erst, wenn man den fahrbaren Untersatz mit Fahrwerk, Differenzial und entsprechenden Reifen gezielt auf die Rutschpartien vorbereitet. Aber gerade in der goldenen Mitte zwischen Grip und Drift, mit der man mangels Geld mit vielen Boliden vorerst Vorlieb nehmen muss, fällt es mir oft schwer, in einen guten Flow während der Rennen und actionreichen Verfolgungsjagden mit den Cops zu kommen. Das Problem: Die Streckenführung erfordert oft ein ausbrechendes Heck, um mit einer möglichst hohen Geschwindigkeit durch die Kurven zu kommen. Dagegen wird die Fahrt mit reinen Grip-Fahrzeugen auf kurvenreichen Pisten eher zum Krampf, weil die Boliden in diesem Fall eher zum Untersteuern neigen und sich dadurch trotz der grandiosen Bodenhaftung nur schwer durch Kurven dirigieren lassen. Trotzdem hinterlässt das Grip-Setup hier einen besseren Eindruck als in vergangenen Teilen.

Aber in Hot Pursuit hatte ich umgehend Spaß am Fahren, während man bei Unbound erst ein paar Spielstunden investieren muss, bevor man das Handling anpassen darf und sich dadurch die Wagen endlich besser steuern. Vielleicht hatte ich aber auch einfach nur Pech, weil meine erste Wahl auf den VW Käfer fiel – nicht nur, weil ich das Modell sehr mag, sondern weil es auf den ersten Blick sinnvoll erschien, mit einem guten Kompromiss aus Grip und Drift zu starten. Die Nitro-Mechanik hat mir dagegen von Anfang an zugesagt: Neben der automatischen Regeneration lässt sich unabhängig davon eine zweite Leiste allein durch coole Fahrmanöver wie Drifteinlagen, Sprünge oder das Rasen im Gegenverkehr füllen, um auf Knopfdruck einen weiteren und schnell verfügbaren Geschwindigkeitsschub zu erhalten. Die Kehrseite der Medaille: Wer lieber auf eine Grip-Einstellung setzt, wird diesen Bonus-Boost seltener in Anspruch nehmen können als die Drift-Fraktion, weil sich die Leiste beim lässigen Schlittern durch die Kurven besonders flott auflädt. Auch in der neuen Event-Variante Take Over ist man mit einer Drift-Einstellung besser beraten, um mit coolen Fahrmanövern die aufgestellten Hindernisse und Farbeimer zu zerstören, damit der Punktemultiplikator möglichst lange hoch bleibt. Das sorgt zwar für Abwechslung vom Racing-Alltag, aber meistens hab ich auf dieses Gymkhana für Arme lieber verzichtet, weil es mir nicht sonderlich viel Spaß gemacht hat.

Halbherzige Lenkrad-Unterstützung ohne Force Feedback

Zwar ist die Fahrphysik von Unbound insgesamt ein Fortschritt gegenüber den Serienteilen der letzten Jahre und man kann sowohl Unterschiede zwischen den knapp 150 lizenzierten Modellen als auch die positiven Auswirkungen von Leistungsupgrades ordentlich spüren. Aber ich vermisse häufig die nötige Präzision beim Handling der Wagen, zumal auch das haptische Feedback des DualSense-Controllers ziemlich mau ausfällt. Laut offizieller Angaben von EA werden zwar alternativ auch ausgewählte Lenkräder von Fanatec, Logitech und Thrustmaster unterstützt, aber an der PS5 wurden sowohl das Fanatec CSL Elite als auch Fanatecs DD Pro lediglich als normale Controller erkannt und ließen sich nur ohne Force Feedback verwenden. Spaß macht das logischerweise nicht! Vielleicht kommt ja noch ein Patch…

Ein großer Spielplatz für Raser

Beim Fahrgefühl ist man zwar deutlich abgeschlagen, aber bei der Gestaltung der Spielwelt ist Criterion deutlich näher dran an Forza Horizon. Soll heißen: Gefühlt warten an jeder Ecke potenzielle Herausforderungen wie Radarfallen, kurze Drift- und Speedabschnitte oder waghalsige Sprünge, bei denen entweder die Flugweite oder die Zerstörung von Reklametafeln zählt. Spürnasen dürften sich außerdem auf die Suche nach versteckten Bärenfiguren – warum auch immer – oder Streetart-Kunstwerken an Häuserwänden machen. Also die üblichen und recht einfallslosen Beschäftigungstherapien, die in den meisten Open-World-Spielen auf der Tagesordnung stehen und mit der Zeit eher langweilen anstatt zu motivieren. So wird die Karte früher oder später mit Icons regelrecht überflutet, sobald man die Herausforderungen entdeckt und im langsamen Vorbeifahren markiert hat.

Viel mehr Freude habe ich dagegen an den normalen Rennveranstaltungen, für die man zuerst die entsprechenden Treffpunkte in Lakeshore City aufsuchen muss – eine optionale Schnellreisefunktion gibt es nicht, was angesichts der Größe der Spielwelt aber zu verschmerzen ist, die mit ihren innerstädtischen und ländlichen Regionen nicht nur erfreulich abwechslungsreich ausfällt, sondern auch in Sachen Technik mit flüssigen 60fps überzeugt, auch wenn es hier und da mal ein paar Pop-ups und nachladende Texturen zu sehen gibt. Vor allem in höheren Leistungsklassen glänzt Unbound außerdem mit einem tollen Geschwindigkeitsgefühl, das dem Namen Need for Speed gerecht wird.

Um etwas Fahrzeit zu sparen lassen sich immerhin die freischaltbaren Verstecke als alternative Startpunkte festzulegen, sobald ein neuer Tag beginnt oder der automatische Wechsel zur Nacht erfolgt. Das Prinzip entspricht etwa der Struktur von NfS Heat: Jedes Kapitel im Storymodus entspricht einer Kalenderwoche. In der Regel startet man bei Tageslicht, doch sobald man wieder die Werkstatt aufsucht, um Tuningmaßnahmen durchzuführen oder Preisgelder abzuliefern, geht es anschließend mit dem Nachtabschnitt weiter. Einen dynamischen Tag/Nachtwechsel gibt es demnach nicht, doch sorgt zumindest das Wetter für Überraschungen, obwohl es eigentlich nur die beiden Varianten „trocken“ oder „nass“ gibt und sich dabei Auswirkungen auf die Fahrphysik in Grenzen halten.

Racer, Cheuffeur und Drifter

Neben Duellen auf Rundkursen gegen bis zu sieben Gegner stehen u.a. auch Rasereien von Punkt A nach B und Drift-Wettbewerbe auf dem Programm. Wichtig ist dabei, sich an die Streckenführung zu halten, die nicht nur von eingeblendeten Banden, sondern auch Checkpunkt-Toren markiert wird. Hier wird das Spiel seinem Namen (Unbound=ungebunden) also nicht ganz gerecht, denn Wettrennen zum nächsten Checkpunkt mit freier Wegfindung im Stil von Midnight Club Racing sind hier nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn man z.B. Taxifahrer für untergetauchte Racer spielt oder flotte Geschosse im Stil des klassischen Test Drive möglichst unfallfrei ans festgelegte Ziel befördern muss. Alternative Routen in Rennveranstaltungen gibt es stattdessen nur dann, wenn das Spiel sie aktiv anbietet, doch kann man sich hin und wieder mit Abkürzungen einen kleinen Vorteil verschaffen. Verpasst man dagegen eines der Tore, wird man umgehend zurückgesetzt. Das kostet nicht nur Nerven, sondern auch wertvolle Zeit, in der das Verfolgerfeld wieder an einem vorbeiziehen kann.

Leistungsindex statt Gummiband für größere Herausforderungen

In früheren Teilen von Need for Speed wäre das meistens egal gewesen, denn in der Regel hat es der übertriebene Gummiband-Effekt gerichtet, dass man auch nach Unfällen schnell wieder den Anschluss ans Feld findet und sich wieder nach vorne kämpfen kann. Das ist bei Unbound anders: Seit gefühlten Ewigkeiten gibt es – zumindest in den Positionskämpfen mit anderen Streetracern – keinen Gummibandeffekt mehr. Und das ist eine verdammt gute Nachricht!

Stattdessen muss man sich jetzt am Leistungsindex der Wagen orientieren, um zu sehen, wie konkurrenzfähig das eigene Geschoss im Vergleich zu den Boliden der anderen Teilnehmer ist. Davon hängt auch ab, wie viel zusätzliches Geld man bei den optionalen Wetten einsacken kann: Wer mit einem unterlegenen Fahrzeug antritt und darauf setzt, einen der stärker motorisierten Kontrahenten zu schlagen, kann mit deutlich höheren Gewinnsummen rechnen als wenn er schon mit einem hochgezüchteten PS-Monster an die Startlinie rollt.

Vom Straßenwagen zur Rennmaschine

Gerade in frühen Veranstaltungen muss man notgedrungen erst einmal kleinere Brötchen backen, denn die mageren finanziellen Mittel reichen nach der dramatischen Wendung im Prolog gerade mal zum Kauf eines günstigen Kleinwagens, den man erst Schritt für Schritt durch kostspieliges Tuning in eine konkurrenzfähige Rennmaschine verwandelt. Schon auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade ist an lockere Siege erstmal nicht zu denken, zumal sich der Führende auch noch gerne vom restlichen Feld absetzt. Hier hebt sich Unbound sehr angenehm von der Konkurrenz wie den letzten Teilen von Forza Horizon aber auch Gran Turismo 7 ab, wo man gefühlt im Minutentakt mit neuen Autos als Belohnung zugeschüttet wird und der Sieg oft reine Formsache ist.

Stattdessen werden Erinnerungen an das erste Gran Turismo oder auch Need for Speed: Underground wach, wo man die hart erkämpften Preisgelder zunächst mit viel Geduld in diesen einen Serienwagen gesteckt hat, für den man sich bei Spielbeginn entschieden hat. Auch hier habe ich die ersten Stunden hinter dem Steuer des gleichen Modells verbracht und es sukzessive mit Verbesserungen aufgemöbelt. Dadurch entsteht endlich wieder so etwas wie eine Beziehung zum eigenen Fahrzeug und man lernt selbst kleine Tuningfortschritte sowie Platzierungen außerhalb der Top 3 zu schätzen. Passend dazu wurden auch nicht hunderte von Autos ins Spiel gepackt. Stattdessen gibt es eine überschaubare, aber dafür gelungene Auswahl an Karossen unterschiedlicher Leistungsklassen und Baujahre. Dazu gehören u.a. die typischen Tuner-Lieblinge wie der 1er Golf oder BMW M3, japanische Drift-Schleudern vom Schlag eines Nissan 370Z oder leistungsstarke Supersportwagen von Ferrari, Porsche, Aston Martin & Co.

Eine Werkstatt als Tuningparadies

Angefangen beim Leistungschip über Turbolader und Auspuff bis hin zu Verbesserungen bei Antrieb und Fahrwerk sowie diversen Reifenmischungen findet man hier quasi alles, was das Schrauberherz begehrt. Für bessere Updates muss jedoch auch in den Ausbau der Werkstatt investiert werden. Mit dem entsprechenden Kleingeld sind sogar komplette Motorumbauten möglich. Apropos: Bei Unbound gibt es nur noch eine Spielwährung: Dollar. Keine Pit Coins oder anderen Unsinn und bisher fehlt auch von Mikrotransaktionen jede Spur. Ich habe zwar meine Zweifel, dass das tatsächlich so bleibt, aber ich bin aktuell froh, dass diese Art der Monetarisierung aktuell (noch) kein Thema ist. Und obwohl ich den langsamen Fortschritt beim Erwerb und Aufbau der Fahrzeuge schätze, hätte man den Grind-Faktor ruhig etwas minimieren können. Vor allem die teils übertriebenen Startgebühren vieler Rennen sind mir ein Dorn im Auge, denn im schlimmsten Fall geht es sogar mit einem Verlustgeschäft über die Ziellinie, wenn man auf den hinteren Plätzen landet und sich auch noch bei den Wetten verzockt hat.

Immerhin stehen je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad pro Ingame-Tag eine limitierte Anzahl von Neuversuchen zur Verfügung, falls wirklich alles schief läuft. Eine optionale Rückspulfunktion gibt es im Gegensatz zu vielen Arcade-Konkurrenten allerdings nicht, so dass jeder Crash weh tut. Dabei leidet übrigens auch der Wagen: Das visuelle Schadensmodell ist zwar ziemlich zahm und auch große Auswirkungen auf das Fahrverhalten muss man nicht befürchten. Allerdings zeigt eine „Gesundheitsleiste“ den Wagenzustand an und schafft man es nicht mehr rechtzeitig zur Reparatur beim Durchfahren einer Tankstelle, kann die nächste Kollision schnell den Totalschaden bedeuten – und der kann vor allem während Verfolgungsjagden mit den Cops böse Konsequenzen haben.

Tatüüü-tataaa, die Cops sind da!

Für die uniformierten Gesetzeshüter gelten ohnehin andere Regeln: Ihnen greift nicht nur eine Gummiband mit Geschwindigkeitsüberschuss unter die Arme, sondern sie scheinen auch über eine streng geheime und übernatürliche Spawn- oder Teleport-Technologie zu verfügen. Was tut man nicht alles, um die Verfolgungsjagden möglichst spannend und dramatisch zu machen? Leider gelingt das Vorhaben in den unteren der fünf Fahndungsstufen kaum, weil die Cops hier noch recht zahm auftreten und man sie relativ schnell abschütteln kann.

Das ändert sich spätestens dann, wenn irgendwann die schweren Geschütze inklusive Geländewagen, rammfreudige Enforcer und Polizeihubschrauber aufgefahren werden. Hinzu kommen Straßensperren, Nagelbänder und andere Gemeinheiten, mit denen die Hatz beendet werden soll. Und wenn erst mal das SWAT-Team anrückt und einen in die Mangel nimmt, vergeht einem schnell das hämische Lachen, das sich bei den einfachen und nicht gerade clever agierenden Streifenwagen noch breit gemacht hat. Erschwerend kommt hinzu , dass während der Verfolgungsjagd die Reparaturen an Tankstellen nach der ersten Heil-Durchfahrt für ein paar Minuten gesperrt werden und auch Treffpunkte sowie Basen keinen Unterschlupf bieten, so lange man die Blaulicht-Flotte am Hintern kleben hat. In Momenten wie diesen wünsche ich mir die so genannten Pursuit Breaker bzw. Verfolgungsstopper aus NfS: Carbon und Most Wanted zurück, mit denen man mit Hilfe von diversen Objekten in der Umgebung Chaos anrichten und die Cops damit aufhalten konnte. In Unbound hilft dagegen nur die Flucht in einem (hoffentlich) überlegenen Fahrzeug oder gut platzierte Rammattacken, mit denen man die Cops ausschaltet. Erst wenn wieder Ruhe eingekehrt ist und man sich eine Weile aus dem Sichtfeld der Patrouillen fern hält, lassen sich die Stützpunkte wieder anfahren oder Events aktivieren.

Ist Lakeshore City etwa ein Polizeistaat?

Je höher die Fahndungsstufe steigt, desto mehr bekommt man das Gefühl, in einem Polizeistaat gelandet zu sein. Dabei hat Criterion mit seinem Spieldesign ganz bewusst dafür gesorgt, dass Begegnungen mit den Gesetzeshütern nicht die Ausnahme, sondern die Norm bilden. Es vergeht kaum ein Renn-Event, in dessen Anschluss nicht automatisch eine Verfolgungsjagd gestartet wird. In meinen Augen übertreiben es die Entwickler sogar ein wenig damit, mir dieses Katz- und Mausspiel regelrecht aufzudrängen. Wie gesagt: In den unteren Fahndungsstufen sind die Cops schnell abgehängt, aber irgendwann wird es nur noch nervig, wenn man eigentlich nur das nächste Rennen oder einen Auftrag absolvieren will, aber schon der Weg zum Treffpunkt von der übertriebenen Polizeipräsenz gestört wird. Es kann zwar durchaus spannend sein, über Schleichwege oder Ausflügen ins Gelände unter dem Radar der Gesetzeshüter zu bleiben, aber in manchen Abschnitten mit einer unzerstörbaren Streckenbegrenzung ist der Kontakt vorprogrammiert. Ein Großteil der Zäune, Mauern und Schilder von Lakeshore ist allerdings zerstörbar, so dass man oft noch auf alternative Routen ausweichen kann. Vor allem, wenn sich schon ordentliche Einnahmen angesammelt haben, entsteht ein schöner Nervenkitzel, das Geld sicher zur Basis und damit auf die hohe Kante zu bringen. Wird man dagegen verhaftet, ist die mühsam erspielte Kohle futsch.

Auf der Suche nach dem BlingBling-Faktor

Neben Leistungsverbesserungen spielen bei Need for Speed selbstverständlich die Optik und der BlingBling-Faktor eine große Rolle. Neben einem Folien-Editor im Stil von Forza Horizon, mit dem man sich in mühevoller Arbeit eigene Lackierungen basteln oder einfach die Werke der Community herunterladen kann, gibt es auch beeindruckende Bodykits und Spielereien wie eine Unterbodenbeleuchtung. Selbst einzelne Karosserieteile darf man sich herausgreifen und verändern und selbstverständlich stehen auch eine ganze Reihe an schicken Felgen bereit, den BlingBling-Faktor zu erhöhen. Ganz so sehr ins Detail bei Anpassungsoptionen wie beim Tuner-Liebling Nfs: Underground oder dem früheren Autosculpt-System geht man hier zwar nicht, aber man findet dennoch genug Möglichkeiten, nicht nur das Aussehen, sondern sogar auch die Motorenklänge der Fahrzeuge nach eigenen Vorlieben zu gestalten. Schade nur, dass die Flitzer in der freien Wildbahn längst nicht mehr so brachial und kernig klingen wie im Einstellungsmenü.

Story und Multiplayer gehen getrennte Wege

Die eigene Spielfigur lässt sich ebenfalls nach Lust und Laune im Editor gestalten. Basierend auf einer Auswahl an vorgefertigten Modellen lassen sich Gesichter, Frisuren und sogar Details wie Sommersprossen anpassen. Und wie im überfüssigen Modus F1 Life von F22 (zum Test) bekommt man auch hier Zugriff auf zahlreiche Klamotten sowie Utensilien wie Sonnenbrillen, die teilweise sogar von realen Herstellern wie Puma stammen. Was ebenfalls nicht fehlen darf, sind die bereits zuvor erwähnten Posen, davon eine peinlicher als die andere.

Hat man sich einen Avatar für den Story-Modus gebastelt, muss man für den Start im Mehrspieler-Modus erneut ran. Bitte was? Richtig gelesen: Im Gegensatz zu den meisten anderen Rennspielen zieht Criterion eine starke Trennlinie zwischen dem Solo- und Multiplayer-Erlebnis. Das heißt, man muss nicht nur einen weiteren Charakter erstellen, sondern beginnt auch beim Aufbau des Fuhrparks wieder bei Null. Zwar darf man zur Teilnahme in höherklassigen Veranstaltungen optional in einem vorgegebenen Leihwagen Platz nehmen, aber es ist schon ein herber Schlag, dass man seine mühsam erspielte Auto-Sammlung nicht in den Mehrspieler-Events verwenden darf.

Aber generell wirkt der Multiplayer-Modus aktuell nur wie ein halbherzig implementierter Zusatz. Zum automatischen Matchmaking darf man zwar auch bis zu drei Freunde mitnehmen und auf den Servern tummeln sich bis zu 16 Spieler, aber flotte Spontan-Rennen durch die offene Welt sind hier nicht erlaubt. Stattdessen muss man sich gemeinsam bei den vorgegebenen Events einfinden, wo keine Einzelrennen ausgetragen werden, sondern gleich eine Liste aus mindestens drei Strecken abgearbeitet werden muss. Hier dürfen dann bis zu acht Spieler an den Start gehen. Lokale Duelle am geteilten Bildschirm sind nicht möglich.

Zwar bietet auch der Mehrspielermodus in der offenen Welt die Mini-Herausforderungen wie Radarfallen, Witsprünge etc., doch gibt es keine Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Spielern oder Freunden. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Criterion für das innovative Autolog verantwortlich zeichnet, das schon 2010 bei Need for Speed: Hot Pursuit durch seine Update-Nachrichten die asynchronen Duellen zwischen Spielern gefördert und damit für eine riesige Motivation gesorgt hat. Hier gibt es dagegen nicht einmal einfache Bestenlisten. Im aktuellen Zustand ist die Multiplayer-Komponente daher trotz des sauberen Netcodes und der CrossPlay-Unterstützung für mich eine herbe Enttäuschung.

Eine Frage des Stils

Das gewagte Artdesign, das bei der Ankündigung für eine Überraschung und Diskussionsstoff gesorgt hat, funktioniert für mich dagegen besser als erwartet: Die farbenfrohen Cell-Shading-Figuren im Comic-Stil fügen sich hervorragend in die möglichst realistisch gestalteten Wagenmodelle und Kulissen ein, um dem Ganzen einen einmaligen Look zu verleihen, mit dem man sich deutlich von der Konkurrenz abhebt. Davon profitiert zudem die Inszenierung der Zwischensequenzen, die durch den gewählten Look nicht mehr ganz so schäbig und peinlich wirken wie die Filmclips mit miserablen Schauspielern aus der Vergangenheit.

Mit den eingestreuten Comic-Effekten während der Fahrt, darunter bunte Rauchwolken bei Drifts oder plötzlich eingeblendete Flügel bei Sprungeinlagen, werde ich dagegen nicht so richtig warm. Tatsächlich empfinde ich diese Fahreffekte nicht als stylisch, sondern eher störend. Entsprechend hätte ich mich darüber gefreut, sie in den Einstellungen deaktivieren zu dürfen, doch leider hat Criterion diese Option im Vorfeld nur versprochen, aber bisher (noch) nicht umgesetzt. Ein weiteres Manko: Die Steuerung lässt sich nicht individuell belegen und so muss man mit dem vorgegebenen Layout Vorlieb nehmen.

Soundtrack setzt auf Hiphop

Und auch bei der Musik ist man komplett dem recht eintönigen Geschmack der Macher ausgesetzt – und die hielten es nicht nur für eine gute Idee, Künstler wie A$AP Rocky direkt als Figuren ins Spiel mit einzubauen, sondern den Soundtrack komplett auf Hiphop auszurichten. Offenbar ist man in der Marketing-Abteilung von EA der Auffassung, dass heutzutage nur diese Stilrichtung zu den hippen Untergrund-Rasern passt.

Entsprechend gibt es bei Unbound keine Radiosender wie bei Forza Horizon, die neben Hiphop auch Pop, Rock, Drum’n’Base und sogar klassische Orchester-Werke abdecken. Mein persönlicher Musikgeschmack ist zwar recht breit gefächert und ich kann viel ertragen, aber bei Hiphop stoße ich schnell an meine Grenzen. Aber wisst ihr, was für mich noch schlimmer ist als Hiphop? Deutscher Hiphop! Leider kennt EA keine Gnade und fährt beim Unbound-Soundtrack selbst diese schweren Geschütze auf, während ich bei Songs wie „In meinem Benz“ von AK x Bonez MC (musste ich tatsächlich googeln) am liebsten umgehend das Spiel verlassen würde, um mir die Tortur für meine Ohren zu ersparen. Leider, leider gibt es hier weder die Möglichkeit, Songs zu skippen, noch die allerschlimmsten Vertreter von der Playlist auszuschließen, was sich eigentlich sehr einfach über ein OST-Menü bewerkstelligen ließe. Die Auswahl ist natürlich schön für alle, die Hiphop mögen und die 1-2 Tracks mit Elektro-Tendenz klingen tatsächlich gar nicht übel. Aber wer eine ähnlich ausgeprägte Aversion gegen diese Art von Musik hat wie ich, sollte den Soundtrack unbedingt in seine Kaufentscheidung mit einfließen lassen oder mit dem Gedanken spielen, die Musik im Spiel komplett zu deaktivieren.

FAZIT

Mit Need for Speed Unbound gelingt es EA und Criterion, der Reihe nach der nötigen Auszeit nicht nur stilistisch mit einem gewagten Artdesign die erhoffte Frischzellenkur zu verpassen, sondern auch qualitativ langsam wieder in die Spur zurückzufinden. Gut, das mag mit Blick auf den kontinuierlichen Abstieg unter der Regie von Ghost Games nicht viel heißen. Und leider hat man mit dem peinlich inszenierten Story-Modus sowie der völlig überladenen Spielwelt mit dem forcierten Tag-/Nachtwechsel ein paar Altlasten mitgeschleppt, die ich nicht mehr unbedingt gebraucht hätte. Mit der fragwürdigen Beschränkung auf Hiphop-Klänge beim Soundtrack, der strikten Trennung zwischen Solo- und dem halbherzig designten Mehrspielererlebnis gesellen sich sogar ein paar neue Kritikpunkte dazu. Gleiches gilt für die magere Lenkrad-Unterstützung und die fehlende Option, die aufgezwungenen Comic-Effekte auf Wunsch abschalten zu dürfen. Auf der anderen Seite gibt es einige Fortschritte: Vom Gummiband-Effekt profitieren hier nur noch die Cops, die sich für meinen Geschmack etwas zu inflationär zu einer Verfolgungsjagd aufdrängen. In den Rennen zählen dagegen der Leistungsindex der Karren und die eigenen Fähigkeiten am Steuer. Der langsame Fortschritt, der mitunter durch Grind-Mechaniken leider auch künstlich erschwert wird, liefert insgesamt einen willkommenen Kontrast zur Konkurrenz, in denen Spieler mittlerweile mit Autos und Preisgeldern überhäuft werden. Ärgerlich bleibt trotzdem, dass man sich mühsam einen separaten Fuhrpark für den Multiplayer-Modus aufbauen muss und es wieder keine Cockpitperspektive gibt. Beim Fahrgefühl muss man zudem Geduld mitbringen, bis sich mit den entsprechenden Tuningteilen endlich Spaß hinter dem Steuer entfaltet. Am Ende war ich positiv überrascht, dass Criterion mit Need for Speed Unbound tatsächlich die Kurve gekriegt hat und neben der überzeugenden Technik samt mutigem Artstyle vor allem wieder den Spaß am Rennfahren und schrittweisem Tuning zurückgebracht hat. Trotzdem hat mir Unbound brutal vor Augen geführt, dass ich mittlerweile zu alt bin, um die Reihe wirklich noch genießen zu können: Dieses durchweg peinlich auf cool getrimmte Skript im Story-Modus in Kombination mit der Hiphop-Ohrenfolter kann ich auf Dauer schlichtweg nicht mehr ertragen. Daher stehen die Chancen schlecht, dass ich nach dem Test nochmal freiwillig nach Lakeshore City zurückkehren werde. 

Infos zum Bewertungssystem

Pro:
– attraktiver Fuhrpark
– herausfordernde Rennen
– viel Tuning & Gestaltung

Kontra:
– hoher Cringe-Faktor bei Story
– keine Cockpitansicht
– Fahrphysik erst mit Tuning spaßig


Das Testmuster wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Electronic Arts Deutschland – vielen Dank!

Der Test umfasst die Entwicklung bis einschließlich Version 1.000.004 (PS5) vom 08.12.2022.

2 Kommentare

  1. Michael Krosta

    Ach komm, Public Enemy, Wu-Tang Clan, Eminem, da gibt’s schon gute Sachen.

    Nicht in meiner Playlist 😉 Aber ja: Wenn mal was im Radio davon läuft, kann man es ertragen und muss nicht sofort wegschalten. Cora E dagegen…(gerade gegoogelt)

    Aber diesmal biste ja schnell mit dem Test, und dann auch noch so ausführlich! Cool.

    Ich versuche das immer, aber wird wohl eher die Ausnahme bleiben, leider. Aber ich mache diesbezüglich mal ein Update zum Einjährigen im Januar. Next stop: Logitech Wheel und WRC Generations.

  2. Pille

    Ja, seit „Underground“ war nichts Gutes mehr dabei. Die Musik war damals so ganz okay, das Zeug habe ich noch mit dem Joystick gespielt. Joystick, kennt heute keiner mehr. HipHop? Ach komm, Public Enemy, Wu-Tang Clan, Eminem, da gibt’s schon gute Sachen. Deutschrap geht gar nicht. Außer Cora E.

    Aber diesmal biste ja schnell mit dem Test, und dann auch noch so ausführlich! Cool.

    Story ist mir egal, die Comic-Effekte sehen ganz cool aus und sind mal was Neues, daran kann man sich gewöhnen. Aber wenn das Fahrgefühl nicht überzeugen kann, ja dann … Vielleicht mal in einem Sale.

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